China führte am 29. März erfolgreich den Erstflug einer neuen Trägerrakete durch, die aus nicht sehr ersichtlichen Gründen als Langer Marsch 6A (LM-6A) bezeichnet wird. Dies lässt für den unvoreingenommenen Beobachter den Schluss zu, dass es sich um eine Variante der Langer Marsch 6-Trägerrakete handeln müsste. Doch dem ist ganz offensichtlich nicht so. Während es sich bei der Langer Marsch 6 um einen Kleinträger in der Kategorie der europäischen Vega-Rakete handelt, mit einer Startmasse von etwa 100 Tonnen, weist die Langer Marsch 6A eine Startmasse von etwa 530 Tonnen auf, und ist damit ein Träger der mittleren Mittelklasse und in derselben Kategorie angesiedelt wie die Atlas 5 541 oder die japanische H2-B.

Zu den wenigen Gemeinsamkeiten zwischen der beiden Raketen gehört, dass sie beide von SAST entwickelt und gebaut wurden (der Shanghai Academy for Spaceflight Technology) und in der ersten Stufe das YF-100 Triebwerk einsetzen - allerdings sind das bei der LM-6A zwei statt des einzelnen bei der LM 6 – und in der zweiten Stufe jeweils ein einzelnen YF-115 Triebwerk. Wodurch die LM-6A in der Oberstufe etwas „untermotorisiert“ ist. Als erster chinesischer Träger überhaupt verwendet die LM-6A Feststoffbooster. In diesem Fall vier Stück. Jeder der Booster liefert einen Schub von 1.200 Kilonewton. Ihre Brennzeit liegt bei knapp unter zwei Minuten. Die Brennzeit der ersten Stufe liegt bei etwa drei Minuten, die der zweiten Stufe bei acht Minuten und 20 Sekunden.

Der Start erfolgte um 17:50 Uhr Ortszeit (entsprechend 11:50 Uhr mitteleuropäischer Zeit) am Satellitenstartzentrum Taiyuan in Nordchina. Dort war für diesen Träger eine neue Startanlage geschaffen worden. Gut 13 Minuten nach dem Liftoff war der Zielorbit erreicht. Etwa 100 Sekunden später gab die zweite Stufe die Hauptnutzlast frei, weitere zwei Minuten später folgte die Sekundärnutzlast. Der erzielte Orbit wies ein Perigäum von 588 Kilometern auf, ein Apogäum von 604 Kilometern und eine Bahnneigung zum Äquator von 97,8 Grad.

Die chinesischen Offiziellen waren zuversichtlich genug bei diesem Erstflug, um der Rakete zwei Satelliten als Nutzlast mitzugeben. Sie tragen die Bezeichnung Pujiang-2 und Tiankun-2. Ersterer ist ein Erdbeobachtungssatellit mit einem Arbeitsschwerpunkt auf der Atmosphärenforschung. Tiankun-2 ist offensichtlich eine relativ kleine Einheit, und scheint ein Technologieträger für eine Internetkonstellation zu sein. Beide Satelliten wurden von der CASIC gebaut.

Ein wenig rätselhaft ist der Umstand, dass die LM-6A eine ähnliche Größe und Abmessungen aufweist wie die Langer Marsch 8 (LM-8) von CALT aus Peking. Auch die LM-8 setzt in der Basisstufe zwei YF-100-Triebwerke ein, verwendet aber für die Oberstufe zwei YF-75-Triebwerke, die mit flüssigem Sauerstoff und flüssigem Wasserstoff arbeiten.

Beide Unternehmen, sowohl SAST als auch CALT (China Academy of Launch Vehicle Technology) gehören zum Staatskonzern CASC (China Aerospace Science and Technology Corporation). Was den bewogen hat, zwei leistungsmäßig fast identische Raketen zu schaffen, ist unklar. Ein Hinweis geht in die Richtung, dass die LM-6A mit einer größeren Nutzlastverkleidung fliegen kann, und von daher für voluminösere Nutzlasten geeignet ist.

Die LM-6A lässt eine Spezialisierung auf niedrige und mittlere Bahnhöhen vermuten, aber die wahren Beweggründe zwei verschiedene Raketen für dieselbe Leistungsklasse zu schaffen, wird sich erst in der Zukunft erklären.

Der Promotion-Film der Rakete gibt Hinweise darauf, dass es für die LM-6A noch eine Version mit nur zwei Boostern geben wird, eine weitere Variante ganz ohne Booster und eine Version mit zwei sehr großen Feststoff-Zusatzmotoren, die schon fast an die SRB’s des Shuttle- und SLS-Programms der NASA erinnern.

Bild: Startlogo. Quelle: CASC