Den Leistungsreserven der Centaur-Oberstufe war es am 23. März zu verdanken, dass der Cygnus-Raumfrachter S.S. Rick Husband am Ende doch noch sicher in den vorgesehenen Orbit gelangte. Die erste Stufe der Atlas V 401 - Trägerrakete hatte eine so signifikante Minderleistung verzeichnene, dass die Brenndauer ihrer Oberstufe um 80 Sekunden verlängert werden musste, um das Defizit auszugleichen. Derart großen Reserven sind nur bei wenigen Missionen verfügbar, und so war hier auch eine Menge Glück mit im Spiel, dass die Startmission dennoch erfolgreich verlief, und die Atlas V nicht ihren ersten Misserfolg bei insgesamt bisher 62 erfolgreichen Starts eingefahren hätte.
Das knapp 9 Tonnen schwere Cygnus Frachtmodul erreichte so 22 Minuten nach dem Verlassen der Startrampe einen Orbit mit einem Perigäum von 241 Kilometern, einem Apogäum von 250 Kilometern und einer Bahnneigung zum Äquator von 51,66 Grad. Das entsprach fast genau den zuvor geplanten Parametern. Die Mission hatte exakt zum vorgesehenen Zeitpunkt an der Startanlage 41 in Cape Canaveral begonnen, nämlich um 4:05:52 Uhr mitteleuropäischer Zeit. In den folgenden Tagen wird sich die Cygnus unter Einsatz der eigenen Triebwerke der internationalen Raumstation annähern. Dafür sind acht Brennmanöver des Antriebs- und Lageregelungssystems mit seinem 500N-Haupttriebwerk und den 32 Kleintriebwerken veranschlagt
Der Brennschluss des RD-180 Haupttriebwerkes der ersten Stufe der Atlas erfolgte fünf Sekunden vor dem geplanten Zeitpunkt, was in dieser Flugphase ein ganz erhebliches Geschwindigkeitsdefizit zur Folge hatte (mindestens 200 m/s). Die Centaur-Oberstufe zündete wie vorgesehen. Ursprünglich war geplant gewesen, dass deren Brenndauer etwas weniger als 14 Minuten betragen sollte, um die Nutzlast in den vorgesehenen Orbit zu senden. Tatsächlich feuerte sie aber für mehr als 15 Minuten, um die Minderleistung der ersten Stufe zu kompensieren. Die Folge des erhöhten Treibstoffverbrauches war, dass das "Deorbiting-Brennmanöver" der Centaur, mit der es für einen "Destructive Reentry" wieder zurück in die Erdatmosphäre gebracht werden sollte, wegen Treibstoffmangels nicht das vorgesehene Zielgebiet traf. Unbestätigte Berichte sagen, dass nach dem Absetzen des Cygnus nur noch Treibstoff für drei Sekunden Brennzeit an Bord war.
In der Tradition von Orbital/ATK wurde der Raumfrachter nach einem verstorbenen Astronauten benannt. In diesem Fall wurde erhielt er den Namen “S.S. Rick Husband“. Husband war der Kommandant der Raumfähre Columbia auf ihrem letzten Flug im Februar 2003, bei der sie beim Wiedereintritt verglühte.
Die Cygnus ist die zweite ISS-Versorgungseinheit von Orbital/ATK, die im Zeitraum von nur drei Monaten auf einer Atlas V 401 gestartet wird. Insgesamt ist es aber schon das sechste Transportraumschiff dieses Typs. Die ersten drei Missionen, jeweils auf einer Antares-Trägerrakete waren erfolgreich, Flug Nummer vier scheiterte jedoch. Bei dieser Mission kam es zu einem spektakulären Fehlstart unmittelbar nach dem Abheben, bei dem auch die Startanlage in Wallops Island schwer beschädigt wurde. In der Folge stellte Orbital/ATK alle Flüge mit der Antares ein, und begann ein Modifizierungsprogramm dieses Trägers, der nun zukünftig mit einem anderen Triebwerk fliegen wird. Während dieser weitreichenden und lang dauernden technischen Änderungen an der Trägerrakete kaufte OSC zwei Atlas V von Lockheed, um die Transporte zur ISS weiter aufrecht erhalten zu können.
Der Cygnus wird insgesamt 3.400 Kilogramm Fracht zur Internationalen Raumstation bringen. Das beinhaltet mehr als 1.100 Kilogramm Versorgungsgüter für die Crew, darunter so unterschiedliche Dinge wie 175 Container mit Essensrationen, Hygieneartikel, Druckertinte und Papier.
Weitere etwa 1.100 Kilogramm bestehen aus tVersorgungsgütern für die Station, angefangen von Schaltkreisen für Multiplexer-Demultiplexer Einheiten, über Filter verschiedenster Art, Wasser, Hygieneartikel einschließlich einer größeren Menge Toilettenpapier und einem neuen 3D-Drucker. Fast 800 Kilogramm wiegen wissenschaftliche Experimente aus Kanada, Japan, von der NASA und der ESA. Knapp 160 Kilogramm sind an Geräten für Außenbordaktivitäten mit an Bord, wie beispielsweise Teile von Raumanzügen und Prüfvorrichtung. Knapp 100 Kilogramm sind elektronisches Equipment wie Laptops, Drucker, Festplatten, Camcorder, Kameras, Kartenleser, Kabel und ähnliches. Und schließlich befinden sich auch noch 20 Kleinsatelliten der Flock-2d Serie an Bord der Rick Husband, die allerdings erst dann im Weltraum abgesetzt werden, wenn der Cygnus schon wieder von der ISS abgelegt hat. Für das Absetzen dieser Kleinsatelliten ist eine spezielle Vorrichtung an der Außenseite der Hülle des Raumfrachters angebracht..
In dieser letzten Einsatzphase wird in der S.S. Rick Husband auch ein andere interessantes Experiment durchgeführt. Im druckbelüfteten Teil wird dann absichtlich ein Feuer entfacht und mit einer ganzen Reihe von Apparaturen und Messvorrichtungen beobachtet. Dieses Feuer wird sich selbst überlassen. Es wird so lange brennen, bis es wegen Sauerstoffmangel von selbst ausgeht. Feuer in Raumfahrzeugen gilt als eine der größten Gefahren der bemannten Raumfahrt. Mehr über sein Verhalten in Schwerelosigkeit zu erfahren ist wichtig für die Gestaltung und Ausrüstung zukünftiger Raumfahrzeuge.