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Die „Tage der Raumfahrt" in Neubrandenburg sind eine Veranstaltung der besonderen Art. Es ist keiner der glattpolierten Kongresse, bei denen man in weit entfernten, sehr großen und immens teuren Städten ein wenig unsicher und schüchtern durch anonyme Hotelhallen mäandert, das Programmheft fest in der Hand (wenigstens etwas, an dem man sich festhalten kann) und Ausschau hält nach dem richtigen Vortragsraum, bekannten Gesichtern, einer Tasse Kaffee und dem Klo.

Die „Tage der Raumfahrt“ sind ihrem Charakter nach eher ein Familientreffen und es geht ein wenig zu wie daheim an Weihnachten: Man trifft sich, sieht alte Freunde und Feinde wieder, tauscht Informationen und geht dann gemeinsam zur Kirche. In der Regel ist dieser „Kirchgang“ der Besuch der Vorträge, in diesem Jahr war das aber auch durchaus ganz wörtlich zu nehmen. Dazu aber gleich mehr.

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Man kennt sich also untereinander und schon wenige Minuten nach der Ankunft im Radisson Neubrandenburg ist man völlig entspannt und unter sich, so, als wäre man erst vor wenigen Tagen auseinander gegangen. Die eher wenigen Neuzugänge werden freundlich in die Diskussionsrunden integriert und dann lästert man zusammen über die, welche in diesem Jahr – aus welchen Gründen auch immer – nicht gekommen sind.

Man kann mit den Astronauten und Kosmonauten sprechen und – auch das ist Tradition – es werden gesonderte Foto- und Autogrammtermine anberaumt, so dass jeder Tagungsteilnehmer, sofern er oder sie es wünscht, sich auch mit „seinem/ihrem“ Raumfahrer abbilden lassen kann.

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Trotz dieses intimen Charakters sollte man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die „Tage der Raumfahrt“ grundsolide Informationen aus erster Hand über ein breites Spektrum der heutigen und vergangenen Raumfahrt vermitteln. Vieles was man hier hört wird von den Referenten zum ersten Mal an die Öffentlichkeit getragen, und ist nicht schon zuvor von der Fachpresse durchgekaut worden.  

Vom inhaltlichen Aspekt her könnte man die Veranstaltung – in Anklang an den Titel einer beliebten DDR-Fernsehshow (die auch noch die ersten drei Nachwende-Jahre lief) - als „Ein Kessel Buntes“ bezeichnen. Bemannte Raumfahrt, Raumfahrthistorie, Raumsonden, Forschung und Technologie, Raumfahrtphilosophie. Sogar ein Kulturprogramm (wenn man die Raumfahrt als eigenständige „Kulturleistung“ mal außen vorlässt). Aber durchaus auch mit einem übergeordneten Programmrahmen lose verbunden. Heuer war es: 50 Jahre bemannte Raumfahrt.

Eingeleitet wurde der Vortragsteil der Veranstaltung (am 5. und 6. November) durch einen musikalischen Beitrag des außerordentlich guten Jugendchors des Neubrandenburger Albert-Einstein-Gymnasiums, in dessen Aula die Veranstaltung an diesem Tag stattfand (am Sonntag waren die Vorträge im Radisson Neubrandenburg). Geschickt ins Programm mit eingebaut: Der Sänger Peter Schilling, der seine Bekanntheit vor allem seinem mehrere millionen Mal verkauften Space-Song über „Major Tom“ verdankt. Er gastierte mit seiner Band gleichzeitig mit dem Kongress in Neubrandenburg.

Peter Schilling gab den Raumfahrttagen am Samstagnachmittag mit einem unterhaltsamen Interview die Ehre.  Und für das (ausverkaufte) Konzert am Abend gab es für die Tagungsbesucher in der Neubrandenburger Konzertkirche (und hier sind wir jetzt beim realen Kirchgang angelangt) verbilligte Karten. Dafür waren die ersten drei Reihen direkt vor der Bühne reserviert. Das hätte ich persönlich nun nicht unbedingt benötigt, denn die Sache war mir erstens entschieden zu laut, und, ich muss es zugeben, Peter Schillings Synthie-Pop und das oft recht holprige Versmaß seiner Texte sind nicht gerade meine favorisierte Musikrichtung. Aber wenn die Familie beschließt, da hin zu gehen, dann gehen eben alle hin (oder zumindest fast alle).

Peter Schilling

„Der Orion“ war in diesem Jahr ebenso hochkarätig wie breitbandig vertreten. Alexander Soucek (Orion-Name: Doppler) hielt einen fulminanten Vortrag zum Thema „Patient bemannte Raumfahrt“. Orion-Gründer Maria Pflug-Hofmayr (Nox) und meine Wenigkeit (Astra) waren als Berichterstatter vor Ort.

Die „Tage der Raumfahrt“ gab es bereits zu DDR-Zeiten. Die erste schon im Jahre 1979. Sie finden seitdem jährlich statt, nur in der Nachwendezeit gab es eine mehrjährige Unterbrechung. Davor war sie – gezwungenermaßen -  ganz in der Ostraumfahrt angesiedelt. Diese seinerzeit recht einseitige Fixierung ist heute eine ihrer Stärken. Stets ist immer mindestens ein Ostraumfahrer zu Besuch. Es gab aber auch schon Jahre bei der sich zehn Kosmonauten gleichzeitig bei einer einzigen Veranstaltung ein Stelldichein gaben.  

Hinsichtlich des letzteren Aspektes war die diesjährige 27. Veranstaltung eine gewisse Ausnahme, denn es war nur ein einzelner Kosmonaut zu Gast: Der erste (und bislang einzige) Pole im Weltraum, Miroslaw Hermazewski (er flog mit Sojus 30 im Jahre 1978). Ein besonders kerniges Exemplar der Gattung „Ostraumfahrer“ übrigens.

Für die "Westraumfahrt" war Ernst Messerschmid vertreten, einer der Spacelab-2-Astronauten, später Dekan des Lehrstuhls für Luft- und Raumfahrt der Universität Stuttgart und über mehrere Jahre Chef des Europäischen Astronautenzentrums in Köln.

Und noch ein weiterer prominenter Vertreter westlicher Raumfahrt war anwesend: Ed Buckbee. Kein Astronaut, sondern der erste Direktor des „Space and Rocket Centers“ in Huntsville, der noch von Wernher von Braun höchstselbst verpflichtet worden war. Buckbee machte sich nach seinem Rückzug aus dem aktiven Dienst als Autor einiger bemerkenswerter Bücher (Space Cowboys) einen Namen und hielt am Samstagmorgen einen launigen Einführungsvortrag über die Geschichte der bemannten US-Raumfahrt aus seiner ganz persönlichen Sicht.

An der Stelle ist eine besonders auffallende (heutzutage immer seltener anzutreffende) Dienstleistung erwähnenswert: Die Beiträge fremdsprachiger Redner werden für das Publikum konsequent übersetzt. Ed Buckbees Vortrag beispielsweise transferierte in ungemein beeindruckender Weise eine professionelle Simultandolmetscherin vom Englischen ins Deutsche. Sie steht normalerweise in den Diensten des Marshall-Institutes, und ihre Arbeit wäre für die kleine Tagung bei einem normalen Honorar kaum zu bezahlen. Sie macht den Job hier aufgrund ihrer Raumfahrtbegeisterung und der Freundschaft zu den Organisatoren des Events für kaum mehr als die Spesen. Die Übersetzungen ins Russische und Polnische (und zurück ins Deutsche) wurden durch einen weiteren Freund der Veranstaltung, dem bekannten Raumfahrtjournalisten Gerhard Kowalski, vorgenommen.

A 4 in PeenemündeFester Bestandteil der Neubrandenburger Raumfahrttage ist seit Jahren der Ausflug nach Peenemünde in das dortige „Historisch-technische Informationszentrum“. Der Besuch findet traditionell am Freitag vor dem Kongresswochenende statt, und ist stets mit einem Besuch der Überreste des legendären Prüfstands 7 verbunden. Von dort aus startete am 3. Oktober 1942 die erste A 4 an die Grenze des Weltraums. Sie erreichte an diesem Tag eine Höhe von knapp 85 Kilometern, eine Geschwindigkeit von Mach 5 und eine Flugstrecke von fast 200 Kilometern. Diese Anlage ist für „normales“ Publikum nicht zugänglich, insofern ist auch das eine außergewöhnliche Dienstleistung für die Kongressbesucher.

Jeder der Redebeiträge, sei es der von Professor Messerschmid zum Thema „Die Internationale Raumstation – und was danach?“, der von Volker Schmid vom DLR Köln zu den ATV-Missionen und der Zukunft des ATV (möglicherweise als Service-Modul des US-Raumschiffs Orion!), Miroslaw Hermaszewskis sehr persönliche Reflexionen zum Flug von Juri Gagarin oder Walter Päffgens Beitrag zum Europäischen Satellitennavigationssystem Galileo waren informative Juwelen. Auch die Podiumsdiskussion am Samstagnachmittag wurde von den Anwesenden als spannend und informativ bezeichnet. Ich kann mich zu diesem Punkt leider nicht äußern, denn ich musste zu diesem Zeitpunkt in der Cafeteria einen  akuten Anfall von Unterzucker in Verbindung mit bedrohlichem Koffeinmangel mit Espresso und Krapfen bekämpfen.

Einer meiner persönlichen Favoriten war der Beitrag von Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung des DLR Berlin über die aktuellen Ergebnisse der Erforschung des Kleinplaneten Vesta durch die Raumsonde Dawn. Ich mochte ihn schon  deswegen, weil diese Präsentation den nüchtern-technokratischen Rahmen verließ und mit vielen persönlichen Ansichten, Eindrücken und emotionalen Anmerkungen gewürzt war. Naja, und weil ich das Thema an sich hoch spannend finde.

Beachtlich auch der Beitrag des 16jährigen Gymnasiasten Sebastien Hadjadj vom Romain-Rolland-Gymnasium in Berlin. Er sprach zu „Antrieben und Beförderungsmöglichkeiten der Nahen Zukunft“ und war ein erfrischendes Beispiel dafür, dass das Thema Raumfahrt auch unter der Jugend nach wie vor begeisterten Anklang findet.

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Mein persönlicher Star der Veranstaltung aber, und nicht nur deswegen, weil er auch für Maria-Pflug-Hofmayrs und meine Internetseite „Der Orion“ schreibt, war der Vortrag von Alexander Soucek (ESRIN Frascati und ÖWF) zum Abschluss der Veranstaltung am Sonntagmittag. Sein fulminanter Vortrag behandelte das Thema „Krankenakte bemannte Raumfahrt. Ist der Patient noch zu heilen?“.

Kleinere organisatorische Schwächen werden den Veranstaltern von Teilnehmern und Referenten nie übel genommen. Wie ich eingangs bemerkte: Es ist hier wie in einer Familie. Da passiert schon mal das eine oder andere Malheur ohne dass man sich darüber groß aufregt. Licht- und Tontechnik am mittleren Tag der Veranstaltung, dem Samstag, könnten ausgefeilter sein, es ist störend für Publikum und Redner, dass ständig jemand vor der Bühne auf und ab läuft, und es gab die eine oder andere kleinere organisatorische Panne. Aber bei den „Tagen der Raumfahrt“ kann sich jeder Referent und jeder Zuhörer mit seinem Problem sofort direkt an den Veranstalter wenden.

Gewöhnlich gut unterrichtete Kreise wollen übrigens erfahren haben, dass die  „Tage der Raumfahrt“ im nächsten Jahr ein „Facelifting“ erhalten sollen. Der persönlich und intime Charakter der Veranstaltung wird dabei aber auf alle Fälle gewahrt bleiben.

Das wäre dann vielleicht auch eine gute Gelegenheit für den einen oder anderen "Newcomer", sich mal persönlich vom Flair der Veranstaltung zu überzeugen. Die Neubrandenburger Raumfahrttage sind es unbedingt wert.